Lange galt es als lebensgefährlich, nach Bogotá, Medellín und Co. zu reisen. Doch seit dort Frieden herrscht, blüht Kolumbien auf. Miriam Böndel ist gleich hingefahren.
Welch eine Begrüßung: Bei der Ankunft in Bogotá wird mir gleich das Eldorado versprochen – so heißt nämlich der Airport. Dabei werde ich zunächst wenig paradiesisch direkt ins Chaos einer lateinamerikanischen Großstadt gespült: Die achtspurige Schnellstraße in die Stadt ist komplett verstopft, Gehupe, Motorräder und spektakuläre Überholmanöver inklusive. Der Taxifahrer dreht sich zu mir um, hebt die Arme und lacht.
Auf keines meiner bisherigen Reiseziele waren die Reaktionen so unter- schiedlich: Ein paar wenige strahlten, weil sie selbst gerade in Kolumbien waren oder unbedingt hinwollten, viele andere fragten ironisch, ob ich Koks schmuggeln wolle oder was und ob ich keine Angst hätte. Dabei ist das Kolumbien von heute viel mehr als Pablo Escobar, Drogen, Gewalt und Bürgerkrieg. Es ist ein Land, dessen Transformation überall sichtbar ist. Die, spätestens seit dem Friedensabkommen 2016 zwischen der Guerillagruppe Farc und der Regierung, auch immer mehr Reisende erleben wollen. Denn eigentlich hat Kolumbien alles zu bieten: karibische Strände, Dschungel, Berge, trendige Großstädte. Mittlerweile soll es sogar so sicher sein, dass man problemlos Überlandbusse und den Nahverkehr nutzen kann.
Hoch, höher, Bogotá!
Einen ersten Überblick verschaffe ich mir vom Cerro de Monseratte aus, dem Hausberg der Stadt. Die kleine Kathedrale, die auf ihm thront, sieht man schon von Weitem. Ich gehe die Calle 13 entlang, vorbei an Parks, an der Universität, quer durch den Stadtteil Santa Fe. Die letzten Meter vor der Seilbahn windet sich die Straße schon den Berg hoch. Trotz milder 16 Grad wird mir schummerig: die Höhe! Bogotá liegt 2640 Meter überm Meeresspiegel.
Oben angekommen sehe ich zum ersten Mal die Anden und ihre grünbe- wachsenen Gipfel, die die Stadt umgeben. Bogotá liegt auf einem Hochplateau, die Häuser überziehen es wie ein Teppich, Straßen und Plätze bilden kleine Muster auf den Hängen. Unten an der Station bin ich mit Annemone verabredet, einer Deutschen, die seit sechs Jahren in Bogotá lebt. "Hier herrscht gerade eine so positive Aufbruchsstimmung, ein bisschen wie früher in Berlin", schwärmt sie. Auf dem Weg Richtung Innenstadt kommen wir an unzähligen selbst gebauten Essensständen vorbei. Es gibt Churros – mit Schokolade gefüllte Oblaten – oder Buñuelos, kleine frittierte Käsebällchen. "Du musst unbedingt Lulo probieren", sagt Annemone. Was nach miesem Cocktail klingt, ist eine Zitrusfrucht und schmeckt wie eine köstliche Kreuzung aus Kiwi- und Apfelsaft. Überall eröffnen Restaurants, an einer Ecke ein Taco-Laden, daneben ein hipper Franzose. "Die Mieten sind noch günstig, deshalb kann man sich ausprobieren."
Let's Dance.... in der Carrera Séptima
Die Fußgängerzone Carrera Séptima war früher eine No-Go-Area. Die Reichen hatten sich im Norden verschanzt und den Rest der Stadt sich selbst überlassen. "Heute ist die Séptima eine Bühne", sagt Annemone. Als wir in diese einbiegen, sehe ich schon die erste Band, daneben Jugendliche beim Breakdance. Überall Tische und Bänke, an denen Alte Schach spielen. Eine kleine Salsa-Kombo schwingt die Hüften. Insgesamt sind es bestimmt zwanzig Performance- Gruppen, und alle Leute bleiben stehen, hören zu und klatschen.
Früher war man nur in seinem Viertel sicher, man konnte nicht einfach durch die Stadt gehen", erzählt Annemone. Das mache Orte wie die Séptima so besonders. Vorbei an der Plaza Bolívar mit dem Rathaus und dem Sitz des Senats biegen wir in die Gassen der Altstadt La Candelaria. Viele der kleinen Häuser im Kolonialstil sind mit Street-Art besprüht. Sie erzählen Geschichten von Indigenen, Vertreibung, dem Kampf zwischen Paramilitärs und der Guerilla. "Aber heute muss nicht mehr jedes Graffiti politisch sein", sagt Annemone.
Paradies auf Erden: La Piscina
Am nächsten Morgen fliege ich an die Küste. Nach anderthalb Stunden lande ich in Santa Marta. Mit dem Bus geht es weiter. Mein Ziel: der Tayrona-Nationalpark. Fragt man die Menschen nach dem schönsten Ort Kolumbiens, antworten viele "La Piscina", die Badebucht im Park. Wer dorthin will, muss allerdings erst durch den Urwald wandern. Über unzählige Treppen an der Steilküste, rauf und wieder runter. 32 Grad und hohe Luftfeuchtigkeit treiben mir den Schweiß ins Gesicht. Verrückt, hier herrscht ein völlig anderes Klima. Über mir kreischen Affen, hangeln sich von Baum zu Baum, und tatsächlich muss ich aufpassen, dass mich keine Kokosnuss trifft. Vögel zwitschern. War das ein Tukan?
Auf dem Campingplatz habe ich mir für eine Nacht eine Hängematte gemietet. Aber zuerst ins Wasser! Als ich aus dem Schatten der Palmen trete, öffnet sich vor mir die Bucht. Die Wasseroberfläche glitzert, das Meer strahlt türkis, der Sand schneeweiß, dazu die großen Felsen, von den Wellen rund gespült und hinter mir die steilen, dicht bewachsenen Hänge des Dschungels: Ich bin im Paradies.
Medellín - Place to be für digitale Nomaden
Von Santa Marta geht es am nächsten Tag nach Medellín. Ich bin schockverliebt: Was für eine wilde Stadt! Riesige Bäume, Kakteen und Palmen bilden ein grandioses, grünes Dach über den Straßen. In El Poblado, dem jungen Stadtteil Medellíns, gibt es Cafés, Galerien, Shops. Man hört Englisch, Französisch, Deutsch. Unter den digitalen Nomaden gilt Medellín angeblich als "das neue Bali" – und tatsächlich, da sitzen sie mit ihren Laptops.
An der Metro-Station von El Poblado bin ich mit Sigfredo verabredet, der mir seine Stadt zeigen will. Die Metro ist der größte Stolz der Medellinesen. Ständig wird man gefragt, ob man schon mit ihr gefahren sei. Tatsächlich habe ich noch nie so saubere Bahnhöfe und polierte Waggons gesehen. "Als die Metro 1994 fertig wurde, war sie ein Zeichen für eine neue Zukunft", erklärt Sigfredo. Wir fahren von El Poblado ans andere Ende der Stadt, vorbei am Zentrum mit seinen Kathedralen, am großen Naturkundemuseum, an Sportplätzen. Wir wollen zur Seilbahn, die die Favelas von Santo Domingo mit dem Rest der Stadt verbindet. Als wir aussteigen, stehen wir vor einem riesigen "Turm" an Häusern, anders kann man es nicht beschreiben. Sie wurden in den steilen Hang hineingebaut, selbst gemauerte, zusammengewürfelte Gebilde. Von dem Anblick wird mir schwindelig. "Wenn sich die Familie erweitert, setzt man einfach ein Stockwerk obendrauf", sagt Sigfredo.
Die Freiheit der Comuna 13
Die Fahrt mit der Seilbahn dauert nur ein paar Minuten. Früher brauchte man zwei Stunden, um vom Berg herunterzukommen. "Man war nicht nur arm, sondern auch isoliert." Aus der Gondel sehe ich die futuristischen, schwarzen Gebäude der öffentlichen Bibliothek, auch sie gehören jetzt zur Favela. Stadtplanung für gesellschaftliche Integration.
Oben angekommen laufen wir durch enge Gassen. Aus jedem Haus heraus wird etwas verkauft, Turnschuhe, Saft, sogar Fernseher. Ein enges Gewusel, Straßenhunde drücken sich an uns vorbei. "Du brauchst einen Hut!", ruft mir eine ältere Frau zu. Überall wird man begrüßt. "Was, du kommst aus Deutschland? Das mit der WM tut uns leid!" Aber wie viel Kriminalität gibt es hier noch? "An Orten, an denen so viele Menschen mit wenig Geld zusammenwohnen, wirst du die immer haben“, sagt Sigfredo. Auch Drogen sind noch Thema – und trotzdem ist all das nicht mit dem Kolumbien von einst vergleichbar. Das will Sigfredo beweisen, als er mit mir zur Comuna 13 fährt, lange einer der gefährlichsten Orte der Welt. Es war die "Festung" Pablo Escobars und der Guerillakämpfer, von hier aus regierte das brutale Medellín-Kartell. Jugendliche, die heute Touristen herumführen, erzählen, wie sie sich selbst im Klassenzimmer vor Kugeln verfeindeter Banden ducken mussten.
Jetzt stehen wir auf der Aussichtsplattform der Comuna 13. Von überall dröhnt Musik, Menschen unterhalten sich über die Ebenen hinweg, lachen. Ein Vater ruft aus einem Fenster nach seinem Sohn auf dem Fußballplatz. Es duftet nach frittierten Kochbananen. Es ist ein irrer Anblick, über uns bunte Häuser, unter uns bunte Häuser, fast alle mit aufwendiger Street-Art besprüht, dazwischen ragen Palmen empor, dazu die orangefarbene Rolltreppe, das neue Transportsystem der Comuna. "Kannst du dir vorstellen, dass es hier mal totenstill war?", fragt mich Sigfredo. Ich verstehe, was er meint. Es ist sicher nicht alles gut. Aber die Schritte, die dieses Land gemacht hat, sind für uns kaum zu ermessen. Die Menschen allerdings lassen es einen spüren, wie sehr sie ihre Freiheit feiern. Orte wie die Comuna 13 sind ein Wunder.
Tipps
Reisen mit den Locals
JOVENTOUR bietet eine vielseitige 15-tägige Rundreise durch Kolumbien mit Überlandbussen und Inlandflügen (2039 € EZ / 1389 € DZ, pro Person). Das Tolle: Alles wird vorab gebucht, auch Hotels und Tagesausflüge wie zum Tayrona Nationalpark – nur einsteigen muss man selbst. Den Service gibt’s für viele Länder in Südamerika, Mittelamerika, Südost-Asien und Südafrika.
Wohnen im Dschungel
Direkt am Tayrona-Park liegen die kleinen Hütten der „Posadas Ecoturisticas San Rafael“. Dank des kleinen Resorts konnten fünf Familien aufhören, Koka anzubauen. Über booking.com, Zimmer ab 39 €.
Comuna 13 hautnah
Wie sich das Leben in Escobars Viertel wirklich angefühlt hat, lässt man sich am besten von den Bewohnern selbst erzählen.
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