Bisexualität: eine Person fühlt sich sowohl zu Männern als auch zu Frauen hingezogen. Doch es gibt noch viel mehr, was wir über diese sexuelle Orientierung wissen müssen.
Was ist Bisexualität?
Wenn man von Homo- und Heterosexualität spricht, weiß jede:r sofort, was gemeint ist. Bei Bisexualität wird’s schon schwieriger – oder wisst ihr zum Beispiel, wie die Flagge für Bisexuelle aussieht? (Sie besteht aus drei unterschiedlichen großen Streifen: Pink, Lila, Blau). Nicht nur anlässlich des Pride Months, auch sonst ist es höchste Zeit, dieser sexuellen Orientierung einmal mehr Aufmerksamkeit zu geben.
Bisexualität: Verliebt in Menschen, nicht ins Geschlecht
Die weit verbreitete Erklärung von Bisexualität lautet: Wer bisexuell ist, kann sich in Männer und Frauen verlieben. Der Ansatz ist aber ein bisschen verkürzt, weil er von einem binären Geschlechtersystem ausgeht, die nur die beiden Geschlechter "Mann" und "Frau" kennt. Aber (ähnlich wie Pansexuelle) können sich Bisexuelle natürlich auch in non-binäre Personen oder Trans*-Personen verlieben. Es geht beim Verlieben also weniger um das Geschlecht, als um den Menschen an sich.
Wie viel Prozent der Menschen sind eigentlich bisexuell?
Es gibt kaum Daten darüber, wie viele Menschen in Deutschland oder weltweit bisexuell sind. Denn erfasst wird die Anzahl der bisexuellen Menschen in Studien kaum, häufig fallen sie mit unter den LGBT-Begriff (Lesbian, Gay, Bi, Trans). Das Berliner Marktforschungsinstitut Dalia veröffentlichte im Jahr 2016 die Ergebnisse einer europaweiten Umfrage: Von rund 12.000 befragten Personen gaben etwa 6 Prozent an, dass sie sich als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgeschlechtlich (LGBT) bezeichnen würden. Etwas aufschlussreicher ist eine Studie des Marktforschungsinstitut YouGov aus dem Jahr 2015, in der insgesamt 1.122 Personen in Deutschland über ihre sexuelle Orientierung befragt wurden. Dabei ordneten sich etwa 21 Prozent aller Befragten über 18 Jahren im bisexuellen Spektrum ein. Bei jungen Menschen (18-24 Jahren) waren es sogar 39 Prozent.
Kinsey-Skala: Die sexuelle Orientierung von Menschen ist fließend
Verwendet wurde für diese Studie die sogenannte "Kinsey-Skala", die die sexuelle Orientierung von Menschen in verschiedenen Stufen zu erfassen versucht:
- 0: Ausschließlich heterosexuell
- 1: Überwiegend heterosexuell, nur gelegentlich homosexuell
- 2: Überwiegend heterosexuell, aber mehr als gelegentlich homosexuell
- 3: Gleichermaßen heterosexuell wie homosexuell
- 4: Überwiegend homosexuell, aber mehr als gelegentlich heterosexuell
- 5: Überwiegend homosexuell, nur gelegentlich heterosexuell
- 6: Ausschließlich homosexuell
- 7: Keine sexuellen Kontakte oder Reaktionen
Dabei werden die Stufen 1-5 dem bisexuellen Spektrum zugeordnet. Die Kinsey-Skala widerspricht also dem Schubladendenken, die menschliche Sexualität lasse sich nur in "homosexuell" und "heterosexuell" einordnen. Stattdessen vermittelt die Skala eher das Bild von fließenden Übergängen zwischen verschiedenen sexuellen Orientierungen. Und: dass das Interesse von bisexuellen Personen an anderen Geschlechtern nicht immer gleich groß sein muss, sondern variieren kann.
Die Skala geht übrigens zurück auf den Sexualforscher Alfred Charles Kinsey, der außerdem für seinen Kinsey-Report aus dem Jahr 1948 bekannt ist: Darin konstatierte er, dass mehr als 90 Prozent der Bevölkerung bisexuell sei. Schon der Psychoanalytiker Sigmund Freud ging davon aus, dass alle Menschen von Geburt an bisexuell sind.
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Studie: Frauen sind entweder homo- oder bisexuell – was ist dran?
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Studie der Universität Essex aus dem Jahr 2015. Frauen seien entweder lesbisch oder bisexuell, jedoch nie heterosexuell, behauptete der Studienleiter Gerulf Rieger. Wie er darauf kam? Er zeigte 345 Probandinnen erotische Filme von masturbierenden Männern und Frauen und erfasste die sexuelle Reaktion der Teilnehmerinnen anhand der Vergrößerung ihrer Pupillen sowie Sensoren im Genitalbereich. Heraus kam: 82 Prozent der Frauen reagierten sowohl auf Männer als auch Frauen im Film erregt. Und: 74 Prozent der Frauen, die sich selbst als heterosexuell eingeordnet hatten, ließen sich auch von den gezeigten Frauen erregen.
Das hieße also: Viele Menschen, die sich als heterosexuell bezeichnen, hätten auch bisexuellen Fantasien und Tendenzen, die sie gar nicht so ausleben. Die Studienergebnisse und die Schlussfolgerungen daraus sind aber auch umstritten und werden von Kritiker:innen als stark verallgemeinernd bezeichnet – weil sie die subjektive Lust oder Emotionen nicht mitdenken und sich nur auf die körperliche Lust beschränken würden.
Diskriminierung von bisexuellen Menschen
Unabhängig von der Frage, wie viele Menschen denn als bisexuell gelten, steht fest: Sichtbar sind sie in unserer Gesellschaft nicht wirklich. Wer auf der Straße zwei Männer sieht, die sich küssen, vermutet wohl ein homosexuelles Paar dahinter. Der Gedanke, dass auch Bisexualität im Spiel sein kann, kommt bei den meisten gar nicht erst auf. Denn im Gegensatz zur steigenden gesellschaftlichen Akzeptanz von schwulen und lesbischen Menschen, für die immer mehr Schutzräume aufgebaut werden, ist Bisexualität noch ein Tabu-Thema und die Liebe zu mehr als nur einem Geschlecht mit einem Stigma behaftet.
Das macht es bisexuellen Personen nicht besonders einfach, sich überhaupt zu ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen. Wer dazu noch in einem besonders heteronormativen Umfeld aufwächst, dem fällt das "Outing" möglicherweise besonders schwer. Um Sprüche oder Diskriminierung zu vermeiden, sagen Bisexuelle dann häufig einfach, dass sie homo- oder heterosexuell seien. So erhoffen sie sich mehr gesellschaftliche Akzeptanz, die sie als Bisexuelle (noch) nicht erwarten dürfen.
Bisexuelle Beziehungen sind mit Klischees behaftet
Stattdessen gibt es viele Klischees und Vorurteile, mit denen Bisexuelle häufig konfrontiert werden. Nicht selten werden ihnen Sprüche wie "Entscheid dich doch mal für ein Geschlecht" reingedrückt. Bisexuelle Frauen werden öfter mal von Männern nach einem Dreier gefragt, weil ihnen unterstellt wird, dass sie durch ihre Vorliebe für mehrere Geschlechter sexuell offen für alles sind. Bisexuelle Personen berichten auch öfter von Situationen, in denen ihre sexuelle Orientierung in Beziehungen mit homo- oder heterosexuellen Personen zum "Problem" wurde: beispielsweise, weil der Partner oder die Partnerin das Gefühl hat, mit dem anderen Geschlecht "konkurrieren" zu müssen. Hier ist das Klischee lebendig, das Bisexuellen ihre Treue und ihre Fähigkeit zu monogamen Beziehungen (falls sie gewünscht ist) abspricht.
Podcast "Love your Sex":
Bisexualität: Diskriminierung kann psychische Probleme verursachen
Einer amerikanischen Studie zufolge kann solche Diskriminierung gravierende psychische Folgen für Bisexuelle haben. Weil sie sich ausgeschlossen oder nicht ernst genommen fühlen, sind sie einem erhöhten Risiko ausgesetzt, psychisch zu erkranken – dabei können zum Beispiel Depressionen oder Angstzustände auftreten.
Vielleicht sollten wir also endlich aufhören, sexuelle Orientierungen in Schubladen und Kategorien zu stecken und stattdessen einfach die Liebe von Menschen zu Menschen feiern – denn darum geht es doch letztlich für alle.
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