Wir sind ja immer dafür, Stereotype zu hinterfragen. Bei Henning Baum sind wir aber selbst in die Klischeefalle getappt. Der 50-Jährige steckte bei uns in der Schublade "kerlig" – höchste Zeit, mal zu gucken: Was ist das wirklich für ein Mann?
Eigentlich hätten wir es wissen müssen, denn schon vor 20 Jahren war es Hennig Baum wichtig, Vorannahmen zu unterlaufen – damals damit, dass er einen Kommissar spielte, der ganz beiläufig schwul war. 20 Jahre weiter: Baum hat gerade auf Mallorca die RTL-Serie "Der König von Palma" gedreht, in der es nicht nur mit den Geschäften, sondern auch mit der Liebe kompliziert wird. Von letzterem weiß Baum durchaus selbst etwas, als Vater von vier Kindern von drei Frauen und einer Scheidung, die öffentlicher wurde, als es der Schauspieler mag. Das Leben eben. Also, los...
Herr Baum, Sie werden immer wieder für die "harten Kerle" besetzt. Keine Lust, mal Ihre weiche Seite zu spielen?
Ich spiele zwar harte Kerle, aber ich achte immer darauf, ihre verletzliche Seite sichtbar zu machen. Meine Charaktere leiden am Unrecht, das ihnen angetan wird, oder am Unrecht, das sie den anderen zufügen. Im "König von Palma" ist das ganz unmittelbar erlebbar.
Inwiefern?
Matti Adler leidet selbst an den schmerzhaften Folgen seines Handelns für seine Familie. Da wird die weiche und zerbrechliche Seite seines Charakters absolut sichtbar, vor allem im Zusammenhang mit seiner Frau.
Die Serie spielt Anfang der 90er-Jahre auf Mallorca, an der Schinkenstraße am Ballermann. Wo haben Sie den Beginn der 90er erlebt?
Es war die spannende Umbruchzeit direkt nach dem Mauerfall. Meine Familie hat viel Verwandtschaft im Osten, die politischen Umwälzungen, die neuen gesellschaftlichen Parameter haben mich beeindruckt, weil mich Geschichte interessiert. Ich erinnere aber auch an die verstörenden Anschläge im sächsischen Hoyerswerda 1991, den Rechtsradikalismus, der damals aufflammte.
Wir waren Zeitzeugen eines historischen Moments. Wo waren Sie denn, als die Mauer fiel?
Ich saß in einem Golf 1, neben einer etwas älteren Freundin. Wir fuhren einfach durch die Gegend und hörten vom Mauerfall im Radio. Trotz der großen Bedeutung der offenen Grenzen war ich somit meiner Verliebtheit beschäftigt, dass ich diesem politischen Moment nicht meine volle Aufmerksamkeit schenken konnte.
Banane-Reiten, bierlaunig aus dem Plastikeimer Sangria schlürfen ist das Gegenprogramm zu den politischen Veränderungen in Deutschland. Nach Mallorca mit dem Ferien-Bomber fliegen, Sonne tanken, den Alltag zu vergessen und feiern bis zum Reihern. Ihre Art Urlaubsplanung?
Nein, nie. Feiern bis zum Umfallen hat mich in keinem Alter begeistert oder angezogen. Ich habe immer eher erstaunt auf die Schinkenmeile geblickt.
Sänger wie Jürgen Drews und Costa Cordalis haben über Jahre den Ballermann-Sound geliefert, was war in den 90ern auf Ihrer Playlist?
Quincy Jones und der Sound der 70er. Die 80er hatten mir schon zu viel Synthesizer und die 90er waren die Jahre der Technobeats, das hat mich nie erreicht. Die Musik war mir immer zu unpersönlich, und die Verbindung zu Acid war nichts für mich.
Oh, da wird Jürgen Drews weinen, wenn er das liest.
Der König von Mallorca kann das verkraften. (lacht)
Kannten Sie Mallorca vor den Dreharbeiten zu "Der König von Palma"?
Flüchtig. Ich war viel in der Welt unterwegs, Mallorca hatte mich bis vor acht Jahren nie in den Bann gezogen.
Schon mal als prominenter Schauspieler auf eine angetrunkene Gruppe deutscher Männer beim Junggesellenabschied im Flieger gestoßen?
Nein. Aber an unserem Drehort Ca’n Picafort sind wir natürlich mit Touristen ins Gespräch gekommen. Auf der Insel findet man mich sonst aber eher im Meer oder im Gebirge. Ich lebe sowieso eher zurückgezogen, egal wo ich bin.
Was ist Ihr Geheimtipp für unseren nächsten Trip auf die Insel?
Ich empfehle, sich mit einem Führer Mallorcas Berge zeigen zu lassen.
Kann man die nicht selbst erkunden?
Es gibt viele Ziegenpfade und da kann man sich schnell verlaufen, deshalb würde ich raten, nicht allein loszulaufen. Die Bergwelt des Tramontana-Gebirges ist faszinierend, Wanderwege zu entdecken mit steil abfallenden Klippen macht mir Freude. Atmosphärisch erinnert mich das an die Irrfahrten des Odysseus. Und in den Bergen sind Sie vollkommen weg von der lauten Schinkenstraßen-Stimmung.
Und welchen Sonnenschutzfaktor nutzen Sie unterwegs?
Gar keinen.
Hilfe, wenn meine Hautärztin das liest. Sie als rötlich-blonder Hauttyp, Herr Baum, brauchen doch Sonnencreme!
Ich brauche keinen Schutzfaktor, wenn ich mich langsam an die Sonne anpasse und eine Kappe trage. Wie kommen Sie darauf, dass ich ein rötlicher Hauttyp bin? (lacht)
Zum Glück spielt die Serie ja auch viel in Innenräumen. Da wird geraucht, der Bierkonsum ist hoch und Urlauberinnen und Tresenbedienungen werden zeigefreudig inszeniert. Gesellschaftliche Normen ändern sich, auch auf Mallorca – gut so?
Ob Brüste noch gezeigt werden dürfen, weiß ich nicht, ich habe nur gehört, man darf am Ballermann nicht mehr aus Eimern trinken.
Was, Sangria ohne Eimer? Damit hat sich eine Reise nach Mallorca für mich definitiv erledigt.
Stimmt, können wir also vergessen! (lacht)
Gibt es Gender-Stereotype mit denen Sie gern brechen würden? In Ihren Rollen und im Leben?
Ich breche immer wieder Stereotype. Das habe ich schon vor über 20 Jahren getan, als ich den ersten schwulen Kommissar im deutschen Fernsehen gespielt habe. (Anm.d.Red.: Tatsächlich gab es vor ihm schon einen in der SK Kölsch.)
Der Arbeits- und Überlebenskampfplatz Ihrer Hauptfigur, Matti Adler, ist eine Strandbar namens "Bieradler". Wie wirkt Matti auf Sie in diesem Kampf um die Playa-Vorherrschaft?
Er ist von außerordentlicher Willenskraft. In Deutschland bleibt Matti hinter seinen Möglichkeiten zurück, deshalb wandert er auf die Insel aus, er will seine Persönlichkeit in einem gefährlichen Spiel entfalten. Das Spiel verlangt eine harte Anpassung und einen hohen Einsatz, die später in Brutalität umschlägt. Er selbst ist seine größte Hürde. Es geht um Familie, Erpressung, Schutzgeld und zwei Frauen, die er beide liebt.
Heißt das, Profis machen weiter, auch wenn sie innerlich heulen – Sie auch?
Ja, das hat mit Prägung zu tun. Das ist, glaube ich, unsere urdeutsche Haltung zur Arbeit, sich der Pflicht zu beugen. Bei mir ist es die protestantisch geprägte Arbeitsethik. Unser Fokus liegt oft auf dem Beruf und der Pflicht, manchmal mehr als auf Freizeit mit der Familie. Ich nehme mich da nicht aus, bei einem beruflichen Angebot eher zuzusagen und das als oberste Priorität zu setzen.
Schon mal bereut, so zu priorisieren?
Ich musste lernen, dieses Arbeitsethos so zu gestalten, dass die Familie nicht zu kurz kommt. Das wird mir nicht immer ganz gelungen sein, fürchte ich.
Kennen Sie aus Ihrem beruflichen Umfeld Konkurrenz? Spüren Sie das?
Nein, weil ich ein gesundes Gottvertrauen habe, spüre ich keine Konkurrenz. Was gut und richtig für mich, Henning Baum, ist, wird schon für mich geschehen.
Das klingt auch sehr protestantisch.
"Und wenn der Mensch nicht das bekommt, was er will, dann wird das geschehen, was besser für ihn ist“, hat Martin Luther gesagt. Das gefällt mir und hat sich in meinem Leben immer wieder bestätigt. Ich musste nie irgendwas mit der Brechstange durchsetzen.
Dazu brauchen Sie aber einen dicken Geduldsfaden, ich würde in der Wartephase bereits hektisch werden.
Das bringt doch nichts, Frau Schäfer. Wir müssen für den Moment gerüstet, immer optimal vorbereitet sein, wenn wir gerufen werden. Und in Zeiten der Ruhe darf man sich nicht gehen lassen. Wach und fit bleiben ist wirklich wichtig.
Wie bleiben Sie beim Sparring ohne Auftrag denn fit?
Ich trainiere meine Instrumente mit Gymnastik: Stimme und Körper. Und genauso wichtig ist es, neugierig zu bleiben, sich wieder und wieder neuen Welten zu öffnen und die Spielfreude für sich selbst zu erhalten.
"Kenne ich schon!", "Da war ich schon!" gilt für Sie nicht als Haltung.
Ich stelle mir das gerade vor wie einen agilen Tennisspieler beim Return. Genau, oder wie ein tänzelnder Boxer im Ring. Ich boxe ja gerne. Denken Sie niemals, das kann ich schon. Jeder Treffer kann dich umhauen, auch im Ring des Lebens.
Das klingt jetzt fast ein wenig demütig.
Ein wichtiger Punkt. Der Stolz, der Hochmut ist der Hemmschuh beim Spielen. Ich kann Eitelkeit erkennen. Die muss man beim Schauspiel ablegen, Eitelkeit sonst schimmert immer durch. Fein dosiert kann man sie manchmal als Antrieb benutzen.
Es ist eine schnelllebige Branche. Wer sind Ihre Verbündeten?
Ich kann mich ebenso gut mit Freunden besprechen, die nichts mit der Branche zu tun haben. Aber es gibt natürlich auch Kollegen, Regisseure und Produzenten, die mir nahestehen. Und alles, was das Geschäftliche angeht, bespreche ich mit meinem Anwalt.
In einer starken zweiten Hauptrolle ist Heike Makatsch als Ihre Ehefrau zu sehen. Wie war Ihre Zusammenarbeit?
In dem Augenblick, wenn man zum ersten Mal zusammenspielt, offenbart sich, ob wir das auch über alle guten Vorsätze hinaus hinkriegen. Es kann ja immer schiefgehen im Miteinander, dann fehlt eine gewisse Leichtigkeit. In den ersten fünf Minuten ahnten Heike und ich, dass es mit uns klappen würde.
War es schwer, die intimen, dramatischen Eheszenen zu spielen?
Man muss sich verlässlich öffnen können, nur dann entstehen Dinge im Schauspiel. Ich spiele das Gefühl nicht, das Gefühl stellt sich ein. Stellen Sie sich eine Lokomotive vor, das ist die Ausgangssituation. Darauf liegt meine volle Konzentration, die ist durchdacht, und die Waggons an der Lok sind die Gefühle. Diese werden von der Situation gezogen, sie stellen sich ein, wenn vorher alles präzise gedacht wurde. Was dann passiert, ist nicht planbar für mich. Wie stark Gefühle werden, unterliegt nicht mehr meiner Kontrolle. Heike und ich waren beide überrascht, was über das geschriebene Wort hinaus entstanden ist. Unsere Gefühle waren überraschend heftig.
Sie sind ja beide beziehungs-, trennungs- und familienerfahren. Ihre Darstellung hat mich als Zuschauerin wirklich berührt.
Danke.
Sie sind ein Kind des Ruhrgebiets. Was haben Bochum, Essen, Dortmund, was Malle nicht hat?
Kohle in der Erde. (lacht) Das Ruhrgebiet ist immer ein Schmelztiegel gewesen. Hier leben geradlinige Menschen, die hart arbeiten. Die Leute sagen dir hier sehr klar ins Gesicht, was Phase ist.
Für den "König von Palma" ist Umbruch, Aufbruch, das Weggehen immer auch Freiheit. Kennen Sie das ebenfalls?
Ja, ich will mich entfalten mit meinem Talent. Meine schönste Freiheit war immer das Betreten eines kreativen Raums, der permanent neu gestaltet werden kann im Schauspiel. Das befriedigt mich bis heute, aber der Wunsch nach vollkommener Freiheit ist eine Illusion.
Sind Sie gut im Loslassen, etwa in Beziehungen? Oder reiten Sie ein totes Pferd noch lange weiter?
Ich kann Freundschaften loslassen, wenn keine neuen Impulse mehr entstehen.
Das Clubleben spielt in der Serie eine immense Rolle und dadurch die Nacht, das Nachtleben, die Nachtarbeit – mögen Sie die Nacht?
Ich mag die Nacht, leider werde ich zu früh müde, um sie auskosten zu können. Ich brauche meinen Schlaf. Novalis hat es ja in seinen "Hymnen an die Nacht" geschrieben, da geschehen geheimnisvolle Dinge, da offenbaren wir Menschen uns oft von einer anderen Seite.
Die letzte Nacht, die Sie richtig durchgemacht haben, war wann?
Das ist noch nicht so lange her, da war ich beruflich mit dem Rettungsdienst auf Nachtschicht im RTW unterwegs. (Anm.d.Red.: RTW ist Einsatzkräfte-Sprech für "Rettungswagen". Hennig Baum ist seit dem Zivildienst ausgebildeter Rettungssanitäter und in der Nacht war er für die Serie "Einsatz für Henning Baum. Hinter den Kulissen der Notfallmedizin" unterwegs.)
Danke fürs Gespräch, Herr Baum.
Dieser Artikel erschien zuerst in EMOTION 8/9/23.